o.Univ.Prof. Dr. Hermann Knoflacher | Aktuelles / Termine |
Institut für Verkehrsplanung und Verkehrstechnik
Technische Universität Wien |
Tunnelsicherheit: Gefahrengut und Transportgefahren in Alpentunnels |
Vortrag auf der 8. Internationalen ITE -Transittagung 2001 in Locarno
In der einschlägigen Fachwelt gelten Tunnel als sichere Streckenabschnitte, weil die dort verwendete Maßzahl, nämlich die Zahl der Unfälle pro Kilometer, niedriger ist. Der Grund dafür liegt aber weniger in einer objektiv hohen Sicherheit, sondern daran, dass in diese Maßzahl im Freiland Dinge eingerechnet werden, die im Tunnel nicht vorkommen. So gibt es im Tunnel im allgemeinen keine Kreuzungen, die Witterungsverhältnisse sind im wesentlichen (von den Tunnelportalen abgesehen) gleich, ebenso auch die Beleuchtungsverhältnisse, es gibt kein Glatteis, keine nassen Fahrbahnen und vor allem gibt es im Tunnel keine nichtmotorisierten Verkehrsteilnehmer. Es wird daher nicht Vergleichbares miteinander verglichen. Stellt man die Vergleichbarkeit her, dann verbleibt - wie auch sonst, die unterschiedliche Betriebsgeschwindigkeit oder Fahrgeschwindigkeit, die Zusammensetzung der Verkehrsteilnehmer und ein für den Tunnel spezifisches Risikopotential an besonderen Gütern.
Für die Bewertung der Tunnelsicherheit ist daher nicht die Unfallwahrscheinlichkeit allein maßgebend, sondern das Risiko. Das Risiko besteht aus dem Produkt von Unfallwahrscheinlichkeit mal Unfallfolgen.
Die schwersten Tunnelbrände der Vergangenheit waren nicht das Ergebnis traditioneller Gefahrenguttransporte. Margarine und Mehl entsprechen nicht gerade den herkömmlichen Vorstellungen eines Gefahrengutes. Das heisst, es sind tunnelspezifische Charakteristika zu beachten, wenn man Gefahrengüter im Tunnel definiert.
Was sind diese Charakteristika: Tunnel sind geschlossene Räume, die, zum Unterschied von geschlossenen Räumen in Hochbauten noch das Problem eines ausserordentlich begrenzten Luftvolumens, oft weit weg von der Aussenluft, aufweisen. Abgesehen von der Begrenzung ist auch die Austauschmenge der Luft eng begrenzt.
Ein weiteres Spezifikum des Bauwerkes sind eingeschränkte Fluchtwege, und die möglicherweise bei schlechter Sicht auftretenden Orientierungsproblematik. Wie in allen geschlossenen Räumen ergibt sich die Gefahr aus allen Materialien, die brennbar sind. Heu, Holz, Holzprodukte verschiedener Art, brennbare Produkte der chemischen Industrie, können - je nach Zündtemperatur und Brandlast - im Tunnel zum Gefahrengut werden, auch wenn sie in der übrigen Transportstrecke keineswegs unter die Kategorie der bisher definierten Gefahrengüter fallen. Es gibt bisher leider keine spezifische Klassifizierung von Gütern hinsichtlich ihrer Gefährlichkeit für den Transport in Tunnels.
Alpentunnels werden im allgemeinen nach einer mehr oder weniger langen Steigungsstrecke in den Zufahrten erreicht. Die Wahrscheinlichkeit erhitzter Motoren, besonders im Güterverkehr, ist damit weit grösser als im Flachland. Die getrocknete und wärmere Luft in den Tunnels verringert die Motorkühlung zusätzlich. Dies kann bei Austreten von brennbaren Flüssigkeiten (wie im Mont Blanc Tunnel) mit grösserer Wahrscheinlichkeit als im Freiland zu Bränden führen, die rasch auf die Ladung übergreifen.
Es hat Jahrhunderte gedauert, bis die Menschheit lernte, mit Gefahren, die bei Bränden in geschlossenen Räumen auftreten können, einigermaßen verantwortlich umzugehen. Das Ergebnis sind unsere Bauvorschriften und die feuerpolizeilichen Bestimmungen, die Einrichtungen der Feuerwehr und die im allgemeinen mehr oder weniger streng kontrollierten Verhaltensregeln.
Nun gibt es Eisenbahntunnels erst seit 150 Jahren, wobei die Eisenbahn ein relativ robustes Verkehrssystem hinsichtlich dieser Problematik ist und ohnehin auf einem sehr hohen Sicherheitsstandard seit jeher betrieben wird. Die Unfallwahrscheinlichkeit bei der Eisenbahn ist demnach niedrig. Hingegen können die Unfallfolgen verheerende Ausmaße erreichen. Mit zunehmenden Geschwindigkeiten auch im Tunnelbereich nimmt zwangsläufig das Risiko zu. Damit wird der Mischverkehr, also die Mischung von Personen- und Gütertransporten bei einröhrigen Tunnels zum Problem. Längere, einröhrige Eisenbahntunnels sind in Anbetracht des enormen Risikos, das sie bergen, grundsätzlich zu vermeiden (lange Alpentunnels für die Eisenbahn sind wirtschaftlich nur dann vertretbar, wenn ein entsprechendes Verkehrsaufkommen sichergestellt werden kann). Ist das Verkehrsaufkommen aber entsprechend hoch, sind Begegnungsfälle im Tunnel unvermeidbar. Ein sicherer Tunnelbetrieb wird dadurch fraglich. Es ergeben sich daher allein aus Sicherheitsgründen mit zunehmender Länge von Tunnels mit Gegenverkehr auch bei der Eisenbahn zunehmende Betriebseinschränkungen, die eine wirtschaftliche Begründung für Tunnelbauten dieser Art nicht mehr zulassen. Zweiröhrige Tunnels im Richtungsverkehr betrieben, mit entsprechenden Sicherheitseinrichtungen (und damit verbunden mit entsprechenden Kosten) sind daher in jedem Fall in den Alpen (abgesehen von sehr kurzen Tunnels) erforderlich. Kurze Fluchtwege in einen entweder gesonderten Sicherheitstunnel oder in einen im Katastrophenfall für den übrigen Verkehr zu sperrenden parallelen Eisenbahntunnel, sind die Voraussetzung für die Erfüllung der Sicherheitsstandards. Diese Fluchtwege müssen ausserdem entsprechend leistungsfähig sein, wenn man mit der Evakuierung einer grösseren Zahl von Passagieren unter diesen Bedingungen (es geht im Minuten) rechnen will. Die meisten Eisenbahn-Alpentunnels weisen keine adäquate Lüftung auf und unterscheiden sich diesbezüglich von den meisten Strassentunnels.
Erfahrungen mit Strassentunnels sind viel kürzer als jene mit Eisenbahntunnels und reichen kaum 50 Jahre zurück. Mit zunehmendem Umweltbewusstsein und wachsendem Bürgerwiderstand versuchte und versucht der auf Mythen basierende traditionelle Strassenbau, besonders in den Alpen, in den Untergrund zu flüchten. Die Folge ist eine immer grösser werdende Anzahl von Tunnels und ein bisher rational und quantitativ kaum berücksichtigtes Risikopotential. Gemessen an den ssberlegungen, die die ersten kurzen Tunnels in den 60er Jahren auslösten, ist der leichtfertige Umgang mit dem Risiko in Strassentunnels in späteren Zeiten schwer verständlich und zwar weniger von Seiten des Tunnelsbaues oder des Strassenbaues, sondern vielmehr hinsichtlich des Nachgebens des wirtschaftlichen Druckes auf Transporte durch solche Routen. Um den Umweltauflagen entlang der Siedlungen zu entgehen, flüchtet man in Tunnelstrecken, um später festzustellen, dass bestimmte Transporte aus Sicherheitsgründen dort gar nicht zugelassen werden dürfen. Ein verhängnisvoller Regelkreis hat sich heute gebildet, aus einem Wirtschaftssystem des unbegrenzten Wachstums diktiert. Durch die hohen Geschwindigkeiten und die Übernahme der Kosten für die Folgen der mechanischen Transporte durch die Gesellschaft kann sich die produzierende und verarbeitende Wirtschaft auf immer weniger zentrale Punkte zurückziehen, wodurch der Transportaufwand und die Transportweiten zunehmen. Obwohl sich die Alpen fern der Erzeuger und -Verbrauchergebiete, insbesondere für gefährliche Produkte befinden, tauchen immer mehr Fahrzeuge auf den durch die Alpen führenden Routen auf, eine zwingende Folge der zunehmenden Zentralisierung in der Wirtschaft und der Liberalisierung , dem Abbau der Widerstände im Transportsystem .
Bei der Behandlung der Tunnelsicherheit ging man bisher sehr häufig von dem naiven Glauben " es werde schon gut gehen " aus und von der trügerischen Hoffnung, wenn es zu Unfällen kommt, könne man die Folgen durch den Einsatz entsprechend ausgestatteter Feuerwehren in Grenzen halten. Beides ist ein Trugschluss. Das System wird immer kritischer und gefährlicher und die Feuerwehren haben kaum Möglichkeiten, die Folgen von Bränden in Tunnels, gleichgültig welcher Art, zu begrenzen. Bis die Feuerwehren an Ort und Stelle sind, ist alles wesentliche bereits passiert. Das heisst, es bleibt nur mehr die Möglichkeit des Wegräumens und in Sonderfällen die eine oder andere Unterstützung zufällig Überlebender. Bei Bränden, Explosionen und beim Austritt toxischer Stoffe, geht es - wenn erfolgreiche Aktionen zur Risikoabwehr möglich sind, um wenige Minuten. Dies ist ein Zeitraum, der einen Feuerwehreinsatz unmöglich macht. Versäumnisse in dieser kurzen Zeitspanne können durch noch so viel Feuerwehr zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr kompensiert werden.
Voraussetzung für die Behandlung des Risikos ist - nachdem sich dieses hinsichtlich der Unfallwahrscheinlichkeit ausserhalb unserer Erfahrungswelt befindet, eine rationale, quantitative Behandlung. Bis vor kurzer Zeit gab es - so paradox es auch klingen mag - keine quantitative Risikoanalyse, die verbindlich für alle Strassentunnel angewandt wurde. Es gab Expertenschätzungen und einzelne Rechnerverfahren zur Bestimmung des Risikos für einzelne Tunnelprojekte. Wie wirksam diese waren, zeigen die Ereignisse der letzten Jahre, vom Brand im Kanaltunnel über Mont Blanc bis zum Tauerntunnel . Wir befinden uns daher am Beginn eines Lernprozesses. In Unkenntnis der Wirkungsmechanismen wurden im Verkehrs- und Wirtschaftssystem Prozesse in Bewegung gesetzt, die immer deutlicher - auch bei den Risiken in den Alpentunnels sichtbar werden. Der rationale Zugang wäre es, gegen diese Gefahren entsprechende Barrieren einzubauen. Das heisst, Gefahrenguttransporte oder Transporte von Gütern, die im Tunnel gefährlich werden können, entweder zu verbieten oder nur unter Bedingungen zuzulassen, die das Risiko minimieren. In beiden Fällen entstehen erhebliche Kosten bei den Verursachern. Dies widerspricht der bisherigen Praxis, wie Verkehrssysteme gehandhabt werden. Die Verursacher in der Privatwirtschaft verlangen heute von der Gesellschaft massive, finanzielle Subventionen in verschiedener Form. Die Privilegien sind etwa ein ungehinderter Güterverkehr über 24 Stunden, ohne Rücksicht auf die Ruhepausen und Schlafbedürfnisse der Bevölkerung, die kostenlose Zurverfügungstellung eines enorm teuren Systems an Infrastruktur, einschliesslich Überwachung, die Übernahme der Kosten für Folgewirkungen des Versagens dieses Systems in unbegrenzter Höhe, usw.
Der rationale Umgang mit hohen Risiken bedeutet hohe Sicherheitsfaktoren. Hohe Sicherheitsfaktoren im Zusammenhang mit Güterverkehr in den Alpen bedeutet, eingeschränkte Betriebsbedingungen, Übernahme aller Kosten und Folgekosten durch den Verursacher.
Voraussetzung dafür ist aber ein rationaler Umgang mit dem Risiko. Dafür bietet das quantitative Risikoanalysemodell, das von der OECD und PIARC in den vergangenen 5 Jahren erarbeitet wurde, eine Grundlage.
In der EU wurde dieses spezifische Risiko bisher kaum oder nicht zur Kenntnis genommen, was sich in einer Vernachlässigung dieser Problematik im gesamten Forschungskonzept niederschlägt. Die EU geht offensichtlich von der Annahme aus, es gäbe dieses Risiko nicht oder - es lohne sich nicht, sich damit zu beschäftigen.
Gefahrenguttransporte in den Alpen sind fast ausschliesslich internationale Transporte, also Angelegenheit der EU. Wenn die Kommission daher von der Annahme ausgeht, es gäbe dieses Risiko nicht, ist es die Verpflichtung und die logische Folge der Betreiber von Tunnelanlagen in den Alpen, sich dieser Position anzuschliessen und sämtliche Tunnelanlagen für alle Arten von Gefahrenguttransporten zu schliessen, da es ja nach Auffassung der Kommission ohnehin kein Problem dieser Art gibt. Es ist daher anzunehmen, dass durch eine solche Maßnahme, die an sich logisch und aus Sicherheitsgründen notwendig ist, auch keinerlei Einschränkungen im Transportsystem zu erwarten sein werden.
Dies ist nichts anderes als die logische Anwendung des Prinzips "Wer nicht hören will, muss fühlen". In einer Gesellschaft unserer Zivilisation und Kultur kann man annehmen, dass man darunter nicht das töten, gefährden und verletzen von Menschen trotz Kenntnis des bestehenden Risikos meinen kann, sondern höchstens die Einschränkung der Bequemlichkeit und Gedankenlosigkeit im Transportsystems. Wenn die Alpenstaaten sich diese Behandlung gefallen lassen, dann sind sie selber schuld, wenn sie in Zukunft weitere Tote, Verletzte und zerstörte sowie unbenützbare, teure Verkehrsanlagen zu beklagen haben.
Quelle: ITE (Initiative Transports Europe) | Aktuelles / Termine |