Bruneck 1.3.2002: Verkehrsinfrastrukturen im Pustertal | Aktuelles/Termine |
Besser leben mit weniger Verkehr! |
Vortrag von Dir. Norbert Lantschner – Leiter des Landesamtes für Luft und Lärm
(Südtirol),
anlässlich der Aktionstage in Sterzing am 14. 9. 2001
Schon die Römer wussten, dass schlechte Luft krank macht. Die Luft war damals durch die Heizungsanlagen schlecht. Ein Philosoph hatte schon damals erkannt, dass man die Stadt verlassen müsse, wenn man sich erholen und gesund bleiben will. Die heutige Dimension ist natürlich eine völlig andere; wir haben eine ganz starke neue Quelle hinzu bekommen: den motorisierten Verkehr.
Wir stehen seit Jahren vor einem nicht kleinen Dilemma, vor allem gegenüber der Wirtschaft und der Politik: Die Menschen liegen nicht links und rechts von der Straße, und auf der Zunge steht geschrieben: „Benzol oder PM10 - Tod". Wie vermittelt man schleichende, unsichtbare Belastungen und Gefährdungen, die aber dafür nicht weniger heimtückisch sind?
Die ganze Problematik wird immer wieder entschärft mit der Frage: Wo liegt der Beweis, dass diese Schadstoffe bestimmte Erkrankungen auslösen oder überhaupt Gesundheitsgefährdungen darstellen? Man muss also immer wieder ganz vorne beginnen und fragen: Welche Schadstoffe und welche Mengen werden freigesetzt? Wie und in welcher Konzentration zeigen sie sich an einem bestimmten Ort und was bewirken sie: kurzfristig, mittelfristig und langfristig?
Ein weiteres Dilemma sind die Statistiken. Jeder setzt sie ein, wie er sie gerade braucht. Hinzu kommt das Phänomen unser ausgeprägten Wissenschafts- und Statistiklastigkeit: Wir glauben den Zahlen mehr als den eigenen Augen, der eigenen Erfahrung. Was sehen wir tagtäglich auf der Brennerautobahn? Nun, für die PKW ist eigentlich nur mehr die sog. Überholspur frei . Die andere Fahrbahn besetzen die Schwertransporte. Dort reiht sich LKW an LKW. Jeder weiß, dass ein LKW einen ganz anderen, höheren Verbrauch an Kraftstoff als ein Pkw hat, das natürlich einen höheren Schadstoffausstoß zur Folge hat.
Die LKW- Lobby führt immer wieder an, dass man heute ja verbesserte Fahrzeuge habe. Das stimmt aber nur zum Bruchteil. Die Verbesserungen sind im Grunde lapidar.
Eine echte wesentliche Verbesserung ist erst mit 2005 zu erwarten. Dann darf kein LKW mehr ohne Abgasbehandlung verkauft werden. Für zusätzliche Verminderungen müssen wir leider noch länger warten, also erst wenn Euro 5 Vorschrift wird.
Was meines Erachtens jedoch gravierend ist, dass der Stand der Technik heute schon so weit ist, wirklich schadstoffarme Lkw zu liefern. Nicht vergessen dürfen wir, dass ein Fuhrparkwechsel abgewartet werden muss, bis die Luft halbwegs sauber wird, wobei – Vorsicht – diese Verbesserungen nicht zunichte gemacht werden, weil die „Verkehrsleistungen" zuwachsen.
Die verantwortliche Politik fordert diese heute schon möglichen Standards nicht ein. Sehr wohl aber werden dieselben schon seit Jahren in Länder mit strengeren Umweltauflagen exportiert! Auch die Kat-Technologie wurde bei uns erst 1993 eingeführt, nachdem man sie schon Jahre vorher beispielsweise in die USA oder nach Japan exportiert hatte!
Die in Südtirol freigesetzten Luftschadstoffe stammen hauptsächlich vom Verkehr, gefolgt von den Heizungsanlagen und den Produktionsprozessen, die in Südtirol aber eine untergeordnete Rolle spielen. Insgesamt werden jährlich in etwa 64.000 Tonnen Luftschadstoffe freigesetzt. Im wesentlichen sind es: Kohlenmonoxid, flüchtige Kohlenwasserstoffe, Stickoxide, Schwefelverbindungen und Partikel. Letztere werden für die Gesundheit als besonders problematisch eingestuft.
In etwa 50.000 Tonnen erbringt allein der motorisierte Verkehr (offizielle Landesstatistik von 1997- letzte veröffentlichte Daten; momentan wird an den Daten für das Bezugsjahr 2000 gearbeitet). Die Brennerautobahn im Südtirolabschnitt, die nur einen 1,3 % -igen Anteil am gesamten Straßennetz des Landes hat, trägt fast zu einem Fünftel aller freigesetzten Schadstoffe bei. Beim Kohlenmonoxid erreicht der motorisierte Verkehr einen Anteil von 92% gemessen an den gesamten Kohlenmonoxidemissionen. Am problematischsten sind jedoch die Feinstäube. Grundsätzlich gilt, je kleiner die Partikel, desto größer die Eindringtiefe in die Lunge, bis hin zu den Lungenbläschen.
Die unsichtbar kleinen Staubpartikel, deren Durchmesser weniger als einen hundertstel Millimeter betragen, haben eine relativ hohe Verweilzeit in der Atmosphäre, so dass weiträumige hohe Belastungen entstehen. Während größere Staubteilchen bereits in der Nase zurückgehalten werden, dringen die mikroskopischen PM10-Schadstoffe bis in die feinsten Verästelungen der Lunge vor und gelangen von dort zum Teil in die Lymph- und Blutbahnen.
Außerdem bieten sie aufgrund ihrer zerklüfteten Struktur eine ideale Oberfläche für die An- bzw. Einlagerung von weiteren toxischen Substanzen. Dieses Schadstoffgemisch besteht aus einer Vielzahl von chemischen Verbindungen mit teils Krebs erzeugender Wirkung. Es verursacht in den Atemwegen lokale Entzündungen und setzt insbesondere die Immunabwehr von Risikogruppen wie Kindern, Kranken und älteren Menschen einem Dauerstress aus.
Die PM10-Konzentrationen überschreiten in den Transit-Tälern beträchtlich den empfohlenen Immissionsgrenzwert von 20 mg/m3 (Grenzwert in der Schweiz), erst in höheren Lagen (über 1000 m) wird dieser Jahresgrenzwert deutlich unterschritten. Die Schweizer Umweltbehörde bezeichnet die Gegenden im Bereich der Alpentransit-Strecken als lufthygienische Notstandsgebiete. In Italien ist der Grenzwert von 40 mg/m3 bis zum Jahr 2005 einzuhalten; 20 mg/m3 gelten erst ab 2010.
Ozon ist ein weiterer Schadstoff von erheblicher Bedeutung. Dieses Reizgas entsteht durch komplexe Umwandlungsprozesse unter Sonnenlicht bei sommerlichen Temperaturen aus den Vorläufersubstanzen NOX und VOC (flüchtige organische Verbindungen), wobei die O3-Belastung nicht direkt proportional zur Konzentration der Vorläufersubstanzen ist. NOX und VOC stammen in Südtirol vorwiegend vom motorisierten Verkehr.
Besonders erhöhte Lagen sind chronisch hohen Ozon-Konzentrationen ausgesetzt. So kommt es jährlich zu Überschreitungen des 8-Stunden-Mittelwertes zum Schutze der Gesundheit (110 mg/m3) als auch der Warnstufe von 180 mg/m3 (höchster 1-.Stunden-Mittelwert).
Die Vegetation reagiert bekanntlich noch empfindlicher auf Ozon als Menschen. Daher gilt ein schärferer Grenzwert zum Schutze der Vegetation und zwar ein Schwellenwert von 65 mg/m3 als Tagesmittelwert. Diese Konzentration wird in Südtirol fast das gesamte Jahr überschritten.
Entscheidend für die Gefährdung ist nicht allein die Gesamtmenge der freigesetzten Schadstoffe, sondern wie stark sich die Belastung an einem bestimmten Ort, zu einer bestimmten Zeit zeigt und wie lang man dieser ausgesetzt ist.
Die Schadstoffkonzentration wird durch die meteorologischen Faktoren wie z. B. Windverhältnisse (Ausbreitung bzw. Verdünnung) und Sonneneinstrahlung beeinflusst. In der Atmosphäre haben wir es, bildhaft gesprochen, mit einer Chemie- und Wetterküche zu tun. Wenn also die atmosphärische Schichtung eine austauscharme Wetterlage zeigt, kann es zu einer Akkumulation von Schadstoffen in den bodennahen Luftschichten führen. Solche Situationen sind häufig in der Nacht oder im Winter anzutreffen. Ein Effekt, wie bei einer Pfanne, wenn man einen Deckel drauf setzt: Alles bleibt in den unteren, bodennahen Schichten liegen.
Dies bedeutet, dass die emittierten Luftschadstoffe eines Fahrzeuges je nach Tages- und Jahreszeit eine unterschiedliche Immissionsbelastung verursachen. Dies lässt sich messtechnisch nachweisen.
Untersuchungen zeigen, dass Emissionen während der Morgen-, Abend- und Nachtstunden mehr als 20-mal höhere Immissionsbelastungen bewirken als tagsüber ohne Inversionen. Im Winter wiederum verursachen die Luftschadstoffe der Fahrzeuge aufgrund des eingeschränkten vertikalen Luftaustausches eine etwa fünf mal höhere Immissionsbelastung als im Sommer.
Von Bedeutung sind auch Hangaufwinde in den Alpentälern. Sie können die bodennahen Schadstoffe in die mittleren und hohen Hanglagen verfrachten und somit den besonders ökosensiblen Bereich der Schutzwälder gefährden.
Deshalb bin ich mit dem LKW-Nachtfahrverbot von 22.00 bis 6 Uhr früh aus lufthygienischer Sicht nicht ganz zufrieden. Gerade in den Wintermonaten sind die frühen Morgenstunden die kritischste Zeit; wir haben dann meist eine starke Inversionssituation, so dass die in großer Zahl der startenden LKW sich besonders negativ auf die Luftqualität auswirkt. Wir können nicht das Wetter ändern. Wir müssen die Emissionen drastisch reduzieren!
Hinzu kommt die Klimaveränderung, die im Alpenraum voraussichtlich dramatische Folgen haben wird. Laut wissenschaftlichen Untersuchungen aus Österreich und der Schweiz werden die Inversionswetterlagen deutlich zunehmen. Auch wenn wir dann morgen etwas weniger Verkehr hätten, würde sich die Situation durch die ungünstigeren Witterungsverhältnisse dennoch verschlimmern! Ebenso sollen die Sommertage mit hohen Temperaturen zunehmen. Dies fördert wiederum eine höhere Ozonproduktion in bodennahen Schichten. Nicht vergessen dürfen wir dabei, dass Pflanzen deutlich sensibler auf Ozonbelastungen reagieren als der Mensch, und eine intakt Umwelt ist die Grundlage für einen gesunden Menschen.
Eine weitere Belastungsquelle stellen die Schwermetalle wie Chrom, Cadmium, Nickel, Quecksilber, Blei usw. dar. Fast 180 Tonnen pro Jahr werden in Südtirol allein durch den motorisierten Verkehr freigesetzt. Diese Substanzen haben eine hohe Umweltpersistenz und verseuchen unsere Böden und Gewässer, d.h. gefährden unsere Lebensgrundlagen! Diese Effekte wirken zeitverzögert.
Die Quantifizierung der gesundheitlichen Folgen der Luftverschmutzung für Südtirol wurde von Prof. Künzli vom Institut für Sozial- und Präventivmedizin der Universität Basel durchgeführt. Grundlage bildet eine Trinationale Studie, die unter der Initiative der Weltgesundheitsorganisation (WHO) im Auftrag der Regierungen von Österreich, Frankreich und der Schweiz zu Händen der Europäischen Ministerkonferenz in London (1999) erstellt wurde. Die Expertise der Schweizer Experten zeigt, dass die Gesundheitsschäden in Südtirol nicht unerheblich sind.
Jedes Jahr sterben 120 bis 200 Erwachsene in Südtirol als Folge der Luftverschmutzung. PM10-Partikel gelten dabei als gefährlichste Komponenten des Schadstoffgemischs in unser Atemluft. Auf ihr Konto gehen überdies 150 bis 250 zusätzliche Fälle von Bronchitis und 800 bis 1.350 Asthmaanfälle bei Kindern. Die Gesamtkosten dürften laut unseren Schätzungen in etwa 300 Milliarden Lire pro Jahr betragen.
Für die Berechnungen wurden die Jahresmittelwerte für Gesamtstaub von 1999 und 2000 von den Messstationen in Bozen, Bruneck, Brixen; Meran und Sterzing herangezogen und ein PM10/Gesamtstaub-Verhältnis von 0,6 berücksichtigt. Im ersten Szenario wird angenommen, dass die Südtiroler Bevölkerung im Jahresdurchschnitt einer Belastung von 15 mg/m3 PM10 ausgesetzt ist. Im Szenario 2 wird ein Jahresmittelwert von 20 mg/m3 angenommen. Die tatsächliche mittlere Bevölkerungsbelastung wird mit hoher Wahrscheinlichkeit in diesem Bereich liegen.
Die Trinationale WHO-Studie schätzte, dass die Lebenserwartung der Bevölkerung pro 10mg/m3 PM10 um ca. ein halbes Jahr abnimmt. Übertragen auf die Schadstoffbelastung im Südtirol würde dies einer um mehr als ein halbes Jahr verkürzten Lebenserwartung entsprechen.
Die zentrale Frage lautet: Wie groß sind die nötigen Verbesserungen , wenn wir einen umweltverträglichen und zukunftsfähigen Verkehr im alpinen Raum wollen? Dazu hilft eine OECD-Studie , die erstellt in Zusammenarbeit mit Frankreich, Schweiz, Österreich und Italien unmissverständlich die Dimension der Schadstoffminderung quantifiziert:
Erforderlich ist eine Reduktion der Schadstoffe um etwa 90%, bezogen auf die Emissionen vom Jahr 1990 !
Bezüglich Lärm wäre ein eigener Vortrag notwendig. Nur soviel: Auch bei der Lärmausbreitung sind Tallagen ungünstig, denn der Verkehrslärm einer Straße belastet im Gebirge ein viel größeres Gebiet als vergleichsweise im ebenen Gelände. Entlang der Autobahn kann man regelrecht von einem Lärmteppich sprechen, der die Lebensqualität der Menschen erheblich schmälert. Lärmbarrieren wirken im inneralpinen Bereich nur begrenzt. Einen bestimmten Schutz erhält nur, wer unmittelbar hinter einer Lärmschutzwand lebt. Hanglagen lassen sich überhaupt nicht schützen, da der Lärm sich strahlungsförmig ausbreitet.
Fazit: Der Verkehr hat die Belastungsgrenze schon längst überschritten.
Wir können uns diese Form der Mobilität schon längst nicht mehr leisten!
In dieser Situation helfen uns keine schönen Worte weiter; was wir brauchen, sind Fakten. Und das einzige messbare Faktum ist eine drastische Reduktion des Verkehrsaufkommens! Die Leute sind müde von Ankündigungen und leeren Worten.
Wie gesagt, es handelt sich bei den verkehrsbedingten Belastungen um schleichende Gefährdungen. Jedes Beispiel hinkt, aber den Menschen geht's wie dem Frosch, der, wenn er in siedendes Wasser geworfen wird, sofort raus springen wird. Wenn er aber im kalten Wasser langsam zum Kochen gebracht wird, geht er darin elend zu Grunde, denn er kriegt nicht mit, was mit ihm passiert!
DankeBruneck 1.3.2002: Verkehrsinfrastrukturen im Pustertal | Aktuelles/Termine |