Transitforum Austria-Tirol Aktuelles / Termine
Presseaussendung 18.12.2002

EU-Transitverhandlungen

DIE FAKTEN ZUM ANGEBLICHEN „KOMPROMISS“ vom 17.12.2002

Ausgangslage für die Österreicherinnen und Österreicher:

Grundlage ist das Protokoll Nr. 9 im EU-Beitrittsvertrag, in dem 15 Staaten und 15 Parlamente der Europäischen Gemeinschaft die „nachhaltige und dauerhafte“ Reduktion der N0x-Emissionen um – 60 % aus dem Lkw- Transit durch das Staatsgebiet der Republik Österreich bis zum 31.12.2003 vertraglich festgeschrieben haben.

Faktum ist, dass es seit Inkrafttreten der Ökopunkteregelung am 1.1.1993 bis zum heutigen Tag keine Reduktion, sondern es tatsächlich zu Zunahmen dieser N0x-Emissionen von bisher rund + 20 % (!) wegen der politisch festgelegten und daher weit überhöhten Ausgangszahlen 1991 gekommen ist (Quelle Kommissionsbericht vom 20. Dezember 2000, Bericht der Europäischen Umweltagentur 2001 sowie die rund um die Uhr laufenden Messungen bspw. an der A 12 Inntalautobahn).

Daraus folgt, dass die Zeit der „Kompromisse“ vorbei ist; jeder weitere Kompromiss geht wieder und ausschließlich zu Lasten der Republik Österreich und vor allem – und darum geht es uns – zu Lasten der Gesundheit der Menschen. „Das Gift der Laster schleicht leise in die Alpentäler und ebenso leise in die Lungen unserer Kinder“.

Erinnert werden darf, dass diese Transitregelung das letzte Kapitel am 1. März 1994 bei der Endrunde der Beitrittsverhandlungen war. Weil schon damals die Transitfrage für die Republik Österreich sehr wichtig war. Auf Druck von Bundeskanzler Dr. Franz Vranitzky und Vizekanzler Dr. Erhard Busek musste der seinerzeitige Verkehrsminister Mag. Viktor Klima letztlich den Transitvertrag vom 2. Mai 1992 fallen lassen (vorher: „Der Transitvertrag muss auf Punkt und Beistrich übernommen werden“ – Viktor Klima und LH Dr. Wendelin Weingartner) und das Protokoll Nr. 9 mit wesentlichen Nachteilen in Kauf nehmen. Nachdem Politiker nie ein Scheitern zugeben, hat Viktor Klima dann seinen Misserfolg als „wesentlich besseren Vertrag als den Transitvertrag“ medial zu verkaufen versucht.

Heute, am Ende des Jahres 2002, wird nun zum letzten Schlag gegen die Alpenrepublik Österreich ausgeholt. Wenn es stimmt, was gerade in der ZiB 1 gelaufen ist (17.12.2002, 19.40 MET), hat „Österreich einem Kompromiss zugestimmt“ (vermutlich Botschafter Gregor Woschnagg und Gesandte Judith Gebetsroithner auf Auftrag von BK Wolfgang Schüssel und BM Benita Ferrero-Waldner), Italien noch nicht.

Die angeblichen Details schauen so aus:

Ökopunkte:

2003 9.422.000 : 4 Punkte pro Fahrt = 2.355.000 Fahrten möglich

2004 9.422.000 : 4 Punkte pro Fahrt = 2.355.000 Fahrten möglich

2005 8.900.000 : 4 Punkte pro Fahrt = 2.225.000 Fahrten möglich

2006 8.200.000 : 4 Punkte pro Fahrt = 2.050.000 Fahrten möglich

Nachdem ab 2005 Fahrzeuge der Klasse EURO 4 ohne Ökopunkte fahren dürften (zugelassen werden sie ja schon heute!), ist damit der Schritt in die vollständige Liberalisierung gelegt und können der Straßengüterverkehr und logischerweise auch die damit verbundenen Belastungen ungebremst ansteigen. Zu einem Zeitpunkt, in dem bereits 280.000 Tirolerinnen und Tiroler im Inntal in von der Tiroler Landesregierung ausgewiesenen Sanierungsgebieten leben müssen, weil die Schadstoffe längst die Grenzwerte des Immissionsschutzgesetzes Luft übersteigen.

Nicht erwähnt wird, dass voraussichtlich ab Mai 2004 noch 10 weitere Staaten dazukommen, die selbstverständlich ebenso zusätzliche Ökopunkte brauchen – man wird sie ja nicht vom internationalen Verkehr aussperren wollen oder können. Noch dazu, wo sie ja für die Industrie zu noch günstigeren Konditionen am Weg sind, als die Transportunternehmer in Deutschland, Österreich, Italien und Holland.

Mit den viel zu viel Punkten, die durch die Freigabe der EURO 4 übrig bleiben, kann dann auch locker „Hörbranz gehalten werden“. Der Bevölkerung verkauft man, dass man standhaft geblieben ist und in Wahrheit hat man so viele Ökopunkte, dass man den derzeitigen Hörbranz-Transit ohne Problem für die Transporteure verdoppeln, verdreifachen, vervierfachen etc. kann. Ein klassischer Verrat an der Bevölkerung, die direkt an dieser Straße wohnen und das Aufmachen eines weiteren Nord-Süd-Korridors für die Zukunft.

Keine Rede auch davon, wie man „nach“ der Übergangsregelung 2006 die „nachhaltige und dauerhafte Reduktion der N0x-Emissionen“ erreichen will. Vermutlich gar nicht. Daher ist ein weiterer Schwachpunkt die „Übergangslösung“, die nur dazu dienen soll, das Problem wieder für einige Zeit nach dem Floriani-Prinzip weiter zu schieben – sollen sich in wenigen Jahren doch andere Politiker mit diesem leidigen Thema herumstreiten!

Zur Erinnerung: Im Basisjahr 1991 sind durch Österreich tatsächlich rund 1,06 Millionen Transitfahrten geleistet worden; auch wenn im Transitvertrag vom 2. Mai 1992 die weit überhöhte Anzahl von 1,490.900 „hineingeschrieben wurde“, um sich bis zum Auslaufen des Vertrages einen „Polster an Fahrten zu holen“ (Rudolf Streicher und Günther Hanreich); man hat sich allerdings verschätzt, der Polster war bereits im Jahr 1999 aufgebracht und laufen daher bereits drei (!) Klagen der Republik Österreich beim EuGH gegen die Kommission wegen Vertragsverletzung des Protokoll Nr. 9.

Die entscheidende politische Frage daher lautet nicht, warum ausgerechnet die Republik Österreich in Vertretung von Bundeskanzler Wolfgang Schüssel, Außenministerin Benita Ferrero-Waldner, Botschafter Gregor Woschnagg und Gesandte Judith Gebetsroithner bestehende gemeinschaftsrechtliche Verpflichtungen aus dem EU- Beitrittsvertrag (die „nachhaltige und dauerhafte Reduktion ...“) schamlos, leichtfertig und betrügerisch aufgeben wollen (man denke an das Wahlprogramm der ÖVP zur NR-Wahl 2002, Seite 72: „der Lkw-Transit muss nachhaltig verringert werden“). Wie zum Hohn mutet also so ein „Kompromiss“ an – Freigabe ist mit Verringerung wohl nicht in Einklang zu bringen).

Die entscheidende politische Frage lautet am Tag des Inkrafttretens der Durchführungsprotokolle der Alpenkonvention:

Haben die genannten Personen die Menschen, ihren Lebens-, Kultur- und Wirtschaftsraum sowie vor allem die Gesundheit der Menschen in den Gebirgstälern der Alpenrepublik Österreich aufgegeben? Ist es so, dass das „Götzentum des freien Warenverkehrs“ ihnen tatsächlich wichtiger ist als die Zukunft ihrer Bürgerinnen und Bürger mitten im „Herz der Alpen“? Opfert man Tal für Tal, damit der hoch subventionierte und künstlich erzeugte Lkw-Transit kreuz und quer durch die Alpen und kreuz und quer durch Europa weiter auf dem Rücken der belasteten Bevölkerung weiter steigen kann?

Wo bleiben die sonst nicht redefaulen Landeshauptmänner von Vorarlberg, Tirol und Salzburg? Stehen sie an der Seite ihrer Menschen oder gilt auch in dieser Ausnahme- und Extremsituation: zuerst die Partei, dann lange nichts und dann vielleicht die Wählerin und der Wähler?

Alles Frage, die nun zu diskutieren sind. Denn es kann nicht sein, dass durch Jahrhunderte gewachsener alpiner Lebens- und Wirtschaftsraum, unsere geerbte Heimat, ganz einfach schleichend vergiftet und damit zerstört wird. Das dürfen wir nicht hinnehmen – ungeachtet dessen, in welchem Tal oder welcher Region wir uns gerade befinden.

Lassen wir nicht zu, dass wir uns nun in den Alpentälern von Nizza bis Wien gegenseitig ausspielen lassen und uns gegenseitig den Lkw-Transit zu schieben, während die Verursacher ungeschoren bleiben.

Und die entscheidende Frage nicht nur an die Politik, die ihrer ureigensten Aufgabe – der Schaffung von entsprechenden Rahmenbedingungen, die ein Miteinander von Lebens- und Wirtschaftsraum ermöglichen – nicht mehr nachkommt, sondern vor allem auch an alle jene, die in ihrer „Berichterstattung“ immer den „europäischen Gedanken“ vorschieben und derartige „zum Himmel stinkende Kompromisse“ dabei in Kauf nehmen und noch immer nicht bemerkt haben, dass vor allem die österreichische Transitbewegung immer und selbstverständlich europäische Lösungen gefordert hat (nach dem Prinzip: was für die Alpen notwendig ist, wird den Flachländern nicht schaden):

Was glaubt man denn eigentlich, wie viele Kompromisse die Lungen unserer Kinder und unserer Bevölkerung noch aushalten? Reichen 2.400 Tote pro Jahr in Österreich, die direkt auf die Schadstoffe des Straßenverkehrs zurückzuführen sind, immer noch nicht (bereits 2,5 mal so viele wie im Straßenverkehr bei Unfällen getötet werden)?

Diese Politiker tun alles, um jeden Funken Akzeptanz für europäische Entscheidungen sofort auszublasen und sie sind Ausdruck „gelebter Bürgerferne“. Diese Politik ist zum Scheitern verurteilt und sie wird scheitern.

Fritz Gurgiser, 18. Dezember 2002

vgl. Alpenschutz-Transiterklärung Aktuelles / Termine