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Einige gesellschaftliche Implikationen zum oft ökologistisch verkürzten Zugang "Alpen" März 2004
Zentrum - Peripherie
Thesen zu einem problematischen Verhältnis

"Die Lebenschancen sind nicht nur im globalen Maßstab äußerst ungleich verteilt. Auch im Norden vertiefen sich die Spaltungen. Diese hat – was Menschen, die in Zentren leben, oft übersehen – auch eine räumliche Dimension. Ein verlässlicher Indikator für eine problematische Situation ist die Bevölkerungsentwicklung. Massive Bevölkerungseinbußen gibt es im Mölltal, im oberen Gailtal, im oberen Liesertal, im Gurktal, im Mettnitztal, im Görtschitztal, im oberen Lavanttal und auch in den Grenzregionen an der südlichen Grenze, d.h. Karawanken, Zellpfarre und Umgebung und im Rosental in den Seitengebieten. Am Ende einer Abwärtsentwicklung steht das Unterschreiten einer sogenannte kritische Masse, das ist die Bevölkerungsanzahl, die gewährleistet, dass die Infrastruktur (Arzt, Schule, Kindergarten, Kaufmann, Bank, Post und alle die zentralen Dienstleistungen) vorhanden ist." (Dokumentation der 2. Kärntner Armutskonferenz 1999)

  1. Peripherisierung ist etwas anders als Armut, Leben auf bescheidenem Niveau, etc. .... Peripherie zu sein bedeutet auch nicht einfach nur Randlage, Peripherisierung ist auch nicht „unentwickelt“ sein (Wer kann überhaupt ein solches Urteil fällen?). Peripherisierung ist vielmehr Hinunter-Entwicklung, ist Entwicklung in einer abhängigen Variante, abhängig von einem Zentrum an Macht, Geld, ... An dessen Entwicklungsbedürfnissen richtet sich die Peripherie aus.
  2. Zentrum-Peripherie-Verhältnisse gibt es nicht nur zwischen dem Norden und den Ländern Afrikas, Asiens, Lateinamerikas und dem „Osten“, sondern auch innerhalb von Nord, Ost und Süd. Und: Peripherisierung ist nicht immer deutlich sichtbar. So in den Nachkriegsjahrzehnten: In einer Phase mit extrem hohen Wachstumsraten der Produktivität, der halbwegs „gerechten“ Weitergabe derselben auch über Lohnerhöhungen und dem daraus resultierendem hohen Wirtschaftswachstum wurden Arbeitsplätze in den Zentren so knapp, dass auch periphere Regionen wie z.B. das Lavanttal über einige Zweigwerke (Textil- und Lederbranche!) am „fordistischen Wirtschaftsmodell“ fast gleichberechtigt mit zu partizipieren schienen.
  3. Es war dies auch die Zeit des Ausbaus des Sozialstaats und der öffentlichen Daseinsvorsorge: Nur ein Teil der Lohnerhöhungen wurden unmittelbar ausbezahlt, ein großer Teil wurde zu „Soziallohn“:
    Ein öffentlichen System der Gesundheitsversorgung, der Altersvorsorge, der Vorsorge im Falle der Arbeitslosigkeit, der Bildung ... wurde aufgebaut. Ähnliches galt für die Daseinsvorsorge Kommunikation (Post), Wasser, Müll, Wohnen ... Diese Entwicklung eines heute oft etwas verklärten „Europäischen Modells“ funktioniert abseits der klassischen Marktwirtschaftskriterien – wenn auch nicht unabhängig von der konkurrenz- und profitorientierten Privatwirtschaft. Schulen gab es mehr oder weniger flächendeckend, Krankenhäuser in fast allen Bezirkshauptorten garantierten einerseits eine wohnortnahe Versorgung, andererseits standen damit vergleichsweise gut bezahlte und qualifizierte Arbeitsplätze insbesondere auch Frauen zur Verfügung.
  4. Anders war die Entwicklung der „Daseinsvorsorge Verkehr“: Einerseits wurde weiterhin eine halbwegs gut funktionierende öffentliche Versorgung mit Bahn und Bus aufrecht erhalten, deren Entwicklung hinkte aber weit hinter den heute vertretbaren Standards hinterher – zum Leben zu viel, zum Sterben zu wenig.
    Diese halbseidene Politik war insofern verhängnisvoll, als parallel in engster Kooperation von öffentlicher Hand und privater Wirtschaft (Straßenbau, Quersubventionierung durch Übernahme der Unfallkosten) ein auf LKW und PKW konzentriertes „hochrangigen Verkehrssystem“ aufgebaut wurde. „Hochrangig“ heißt dabei letztlich das Überfahren der Regionen zugunsten der stärksten privaten Unternehmen, die vor allem in den Zentren konzentriert waren. Durch diese de- facto-Subventionierung fiel es den meist größeren Unternehmern leichter, regionale Unternehmen nieder zu konkurrieren.
  5. Seit den 70er Jahren zerbröselt dieses Modell: Zuerst fast unmerklich, nun, zu Beginn des 21. Jahrhunderts allerdings scheinen die Dämme gebrochen zu sein. Die Erwerbslosigkeit ist auch in die Zentren zurückgekehrt, die Zweigwerke in den Peripherien wurden überflüssig oder sind weiter gewandert - nicht zuletzt dank des „Straßenverkehrs-industriellen-Komplexes“ ... Die verhängnisvolle strukturelle Entwicklung wird nur deswegen nicht in voller Härte in den Peripherien sichtbar, weil das selbe problematische Verkehrssystem nun dazu dient, dass Arbeitskräfte in die nächst höheren Zentren auspendeln können. Gleichzeitig zerfällt damit allerdings die private Infrastruktur – es gibt immer mehr Gemeinden ohne Geschäfte. Diese Verarmung trifft natürlich nicht alle gleichmäßig, Armut hat in solchen Gegenden ein Gesicht: weiblich – alt – einkommensschwach.
  6. Mit der Zerschlagung, dem Kranksparen, dem Privatisieren und dem Liberalisieren (also der juristisch verordneten Vermarktwirtschaftlichung) der öffentlichen Daseinsvorsorge folgt der nächste Hammer insbesondere für die Peripherien des Nordens: Die zunehmende Orientierung an betriebswirtschaftlicher Effizienz nimmt immer weniger Rücksicht auf soziale Kosten bzw. eine gesamtwirtschaftliche Effizienz. Wo es sich nicht rechnet, sollen z.B. Krankenhäuser geschlossen werden, egal, was dies mehr an Distanzen für die zu Versorgenden und deren Angehörige kostet, egal ob damit in den ohnehin strukturschwachen Regionen mehr Arbeitslosigkeit entsteht ....
  7. Zentraler Mechanismus in der Durchsetzung dieser Zustände ist die Logik von „Globalisierung und Standortwettkampf“ in mehreren Varianten:
  1. Vor allem ärmere Länder, die sonst nichts auf den Weltmarkt zu werfen haben als billige Arbeitskraft und die scheinbar unbegrenzte Ressource Natur praktizieren die Strategie des Unterbieten der Konkurrenten durch niedrigere Umwelt- und Sozialstandards;
  2. Reiche, hoch „entwickelte“ Volkswirtschaften praktizieren eher eine andere Strategie: Das Überbieten der Konkurrenten durch zur Verfügungstellung besserer / intelligenterer Voraussetzungen für InvestorInnen: Infrastrukturausbau und -zurechtrichtung, Umgestaltung des Bildungssektors (Prostitution der Universitäten bei der Wirtschaft, Ausbildung statt Bildung, Aufbrechen relativ vereinheitlichender Kollektivverträge hin zu flexiblen Lohnverhältnissen, Arbeitszeitflexibilisierung nach den Bedürfnissen der Unternehmen ...) ... Die Folgen dieser Strategie sind kaum weniger negativ als bei der Dumping-Variante:

Lösungsansätze?

  1. Eine Lösung der globalen Misere – auch für periphere Regionen, die im Standortwettkampf bestenfalls als Schlafräume oder Freizeitkolonie fungieren können – kann nicht innerhalb der Wettbewerbslogik erfolgen. Das bedeutet, dass auch die von der EU praktizierte „Projektitis“ kritisch hinterfragt werden sollte. Diese folgt ja meist der Logik, dass man sich nur genug anstrengen müsse und dann schon irgendwo mittels diverser Nischenprodukte sein Plätzchen in prinzipiell offenen Märkten finden könnte.
  2. Ein nachhaltiger Lösungsansatz muss dem Prinzip der „Ökonomischen Subsidiarität“ genüge tun. Zu diesem Prinzip gehören unter anderem folgende Merkmale:
Walther Schütz, ÖIE, Quelle: Kärnöl Aktuelles / Termine