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Brasilien - zwischen Agrarreform und EthanolrauschTeil 2 |
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"Komm" sagt meine Begleiterin Sandra, eine junge engagierte Frau vom MPA, und schwingt sich hinter das Lenkrad ihres alten VW-Golf, "wir fahren durch die Zuckerrohrplantagen bis zur usina." "Werden wir da keine Probleme bekommen?" frage ich und zeige auf die etwa 10 Meter hohen Wachtürme auf den Hügelkuppen. "Die achten mehr darauf, dass keine unkontrollierten Brände entstehen. Nur wenn jemand mit den Arbeitern spricht oder fotografiert, verständigen sie den Wachdienst." Über 20 km fahren wir wie in einer grünen Schlucht dahin, ab und zu kommen wir an einem geernteten Stück vorbei, wo die jungen Triebe wieder ausschlagen. Plötzlich spüre ich einen ekelig penetranten Gestank in der Luft - "das ist vinhoto, der bleibt nach der Destillation zurück und wird verdünnt auf die Felder ausgebracht. Die Techniker behaupten, das sei kein Problem, aber die langfristigen Folgen auf die Böden und das Grundwasser sind nicht abschätzbar." In einer Senke sehen wir einige Dutzend schwarz vermummte Gestalten, die mit flinken Hieben eines etwa halben Meter langen Erntemessers die drei bis vier Meter langen Zuckerrohrstängel kurz über dem Boden abhacken und in Reihen ablegen. Nachdem wir keine Aufseher erkennen können (wahrscheinlich haben sie sich vor der Hitze in irgendeinen Schatten geflüchtet) bleibt Sandra stehen und fragt einen jungen Burschen, wie es mit der Arbeit gehe. "Verdammt harter Job" meint der wortkarg. Und die Bezahlung? Schlecht, gerade mal 20,00 Reais pro Tag (8,00 EURO), aber sie hätten zumindest einen Arbeitsvertrag. Wie viel für Unterkunft, Verpflegung, Transport, Arbeitskleidung und Werkzeuge abgerechnet wird, weiß er nicht. Er wäre erst vor einer Woche als Wanderarbeiter aus dem weit entfernten Nordosten gekommen und hofft, dass am Ende noch was übrig bleibt. Während des Gesprächs habe ich meine kleine Kamera unauffällig eingeschaltet und mache Fotos aus der Hüfte, um kein Misstrauen zu erregen. Auf der Weiterfahrt berichtet Sandra, dass das Arbeitsinspektoriat erst vor einigen Monaten Sklavenarbeit in dem Betrieb angezeigt hat. Nach Schätzungen arbeiten einige zigtausend Menschen unter sklavenähnlichen Bedingungen, was unglaublich erscheint, denn schon die "normalen" Arbeitsumstände sind hart - bis zu 14 Arbeitsstunden in sengender Hitze sind oft notwendig, um die vorgeschriebene Mindestmenge von 12 t Zuckerrohr/Tag zu ernten. Zum Schutz vor den scharfen Blatträndern muss der ganze Körper bedeckt und in Gummistiefeln gearbeitet werden, in denen sich der Schweiß sammelt. Während der letzten Erntezeit gab es über 500 tödliche Arbeitsunfälle in den usinas, etliche davon aufgrund von Erschöpfung. Es ist absurd, aber die Lebenserwartung eines Plantagenarbeiters ist heute geringer als die der Sklaven, die durchschnittlich 20 Jahre arbeiteten. Etwa eine Million Arbeitsplätze gibt es in dem Sektor, 511 Tausend davon in den Plantagen. 80 % des Zuckerrohrs werden händisch geerntet. Warum die Leute solche Jobs nehmen? Die armen Familien verschulden sich rasch bei Krankheiten oder auch nur um Essen zu kaufen, dann müssen sie jede Art von Arbeit annehmen und das nützen die Unternehmer aus. Von weitem sehen wir die usina, aus deren Schloten Rauch quillt. Bei der Einfahrt stehen schwer beladene LKW´s mit jeweils 2 großen Anhängern. Riesige Kräne hieven das Zuckerrohr dann in die Pressen. Neben der Destillerie befindet sich ein großes Tanklager, wo die Tankzüge befüllt werden, die im Viertelstundenrhythmus durch die Ausfahrt rollen. Zukünftig sollen sie nicht nur den Energiehunger der Autofahrer Brasiliens, sondern auch weiter Teile der Welt stillen. |
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Brasilien - Teil 3 |