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Brasilien - zwischen Agrarreform und EthanolrauschTeil 4 |
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Agrarreform für soziale GerechtigkeitBrasilia erlebte vom 11. - 15. Juni den 5. Kongress des MST - Movimento dos Sem Terra (Landlosenbewegung), an dem fast 18.000 Delegierte aus allen Teilen Brasiliens teilnahmen, darunter auch einige Hundert Kinder. Die Leute kamen in Bussen und brachten Matratzen, Kochtöpfe und Lebensmittel mit. Neben einem Handballstadion, das als Versammlungsort diente, errichteten sie innerhalb weniger Stunden eine gut organisierte Zeltstadt mit Küchen, sanitären Anlagen, Ambulanz, Sicherheitsdienst, Verkaufsstellen regionaler Produkte usw., selbst ein Kindergarten und eine Schule wurden eingerichtet. Die MST wurde 1984 gegründet, umfasst weit über eine Million Mitglieder und ist damit eine der wichtigsten sozialen Bewegungen Brasiliens. Sie fordert vor allem eine tief greifende Agrarreform, die einerseits die extrem ungerechte Landverteilung (weniger als 1% der Eigentümer besitzen über 43% des Bodens während 4,8 Mio. LandarbeiterInnen kein eigenes Land besitzen) beendet und andererseits eine neue Agrarpolitik, die die Ernährung der Bevölkerung sicherstellt, eine biologische und bäuerliche Landwirtschaft fördert und den Erhalt der Ökosysteme garantiert, und nicht vorrangig eine exportorientierte Agrarproduktion auf der Basis von umweltzerstörerischen Monokulturen und Technologien zum Ziel hat. Unter dem Titel "Agrarreform für soziale Gerechtigkeit und die Souveränität des Volkes" wurden die Agrarpolitik der Regierung und weltweite Entwicklungen, vor allem im Bereich der Agrotreibstoffe, diskutiert und die eigenen Ziele und Vorschläge vorgestellt. Der Kongress war der Schlusspunkt eines mehrmonatigen Diskussionsprozesses in tausenden von Basisgruppen. Die Stimmung war recht feierlich, denn obwohl in den vergangenen Jahren Hunderte von Frauen und Männern durch die Gewalt der Großgrundbesitzer ihr Leben verloren haben und Tausende von ihnen verwundet und eingesperrt wurden, ist es ihnen gelungen, Land zu erobern, auf dem sie gemeinschaftlich leben und arbeiten können. "Diese assentamentos (Siedlungen) sind Orte der Hoffnung für die Millionen Armen und Ausgeschlossenen von der kapitalistischen Welt" betonte der Bischof Tomas Balduino, "hier erhalten sie ihre Würde als Menschen und Kinder Gottes zurück! Auch das Land wird befreit, denn es dient nicht mehr der Geschäftemacherei sondern dem Erhalt des Lebens - und das ist auch der Wille Gottes!" Tief bewegt lauschten wir der 82-jährigen Bäuerin Elisabeth Teixeira: "Nie habe ich ein eigenes Stück Land besessen, immer nur für die Reichen geschuftet. Seit meiner Jugend habe ich für eine Agrarreform gekämpft, wurde eingesperrt und gefoltert, während der Militärdiktatur musste ich im Untergrund leben - aber ich habe nie aufgegeben!" Mit beeindruckender Kraft und Lebensenergie spornt sie alle an: "Ich möchte noch die Agrarreform erleben, damit diese himmelschreiende Ungerechtigkeit ein Ende hat und unsere Kinder ein Leben führen können, das diesen Namen auch verdient!" Joao Pedro Stedile, einer der Sprecher der MST, dessen Vorfahren aus Sterzing nach Brasilien ausgewandert sind, fasst mich an der Schulter: "João, als du uns 1983 bei dem 1. Landlosentreffen in Südbrasilien über die schwierige Situation in Amazonien erzählt hast, da haben viele begriffen, das wir uns dort keine bessere Zukunft erwarten können und daher an unserem Ort um die Verteilung brachliegender Ländereien kämpfen müssen!" Ein Jahr später haben sie die MST gegründet - eine Handvoll armer Bäuerinnen und Bauern, die niemand ernst genommen hat, weil sie weder Mittel noch Macht hatten, nur den Entschluss, für die eigenen Rechte zu kämpfen und nicht mehr auf die Hilfe anderer zu warten. Inzwischen werden sie respektiert, aber auch von den "Agrounternehmern" bekämpft und verleumdet, unter anderem mit Hilfe der großen Medien, die von dem Kongress kaum berichtet haben. Es gibt aber auch viel Unterstützung - 300 internationale Delegierte aus allen Kontinenten nahmen teil und etwa 30 Politiker, darunter Gouverneure, Senatoren und Nationalratsabgeordnete, folgten der Einladung zur Diskussion. "Ändern wird sich erst wirklich etwas, wenn wir nicht mehr zulassen, dass sich eine Minderheit auf Kosten der Mehrheit und der Natur schamlos bereichert. Wir wollen eine demokratische Globalisierung, die die Rechte der Armen respektiert!" fasst mein Sitznachbar die Debatten zusammen. |
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Brasilien - Teil 5 |