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Brasilien - zwischen Agrarreform und EthanolrauschTeil 6 |
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Biotreibstoffe, die ihrem Namen auch gerecht werdenPositive Erfahrungen mit kleinen Destillieranlagen gibt es bereits. In Ponte Nove und Guaraciaba (Bundesstaat Minas Gerais) produzieren kleine und mittlere Betriebe neben Lebensmitteln auch Zuckerrohr, das in einer Anlage mit 300 Liter Tagesleistung zu Ethanol verarbeitet wird. Die Produktivität ist mit 70 t/ha, das ergibt 4.200 l Ethanol/ha, überdurchschnittlich gut. Andere Vorteile neben der Vermeidung der Monokultur sind kurze Transportwege, die Verwertung aller Nebenprodukte als Futtermittel, Dünger und Brennstoff, Schaffung von Arbeitsplätzen, Einkommenssteigerung für die bäuerlichen Familien u.a.m. Ein weiteres Beispiel ist die COOPERBIO - ein Genossenschaft von kleinen und mittleren Bauernhöfen in Palmeira das Missões (Bundesstaat Rio Grande do Sul), die im September 2005 gegründet wurde, um Ethanol und Biodiesel zu produzieren. In diesem Fall ist das "Bio" gerechtfertigt, denn die rund 30.000 Mitglieder arbeiten nach sozialen und ökologischen Kriterien. Ohne die Produktion von Nahrungsmitteln zu vernachlässigen, werden Zuckerrohr in Mischkultur mit Bohnen, sowie Ölpflanzen angebaut. Die Bauern kontrollieren den gesamten Prozess und bleiben unabhängig von den Agrokonzernen. Alle Nebenprodukte werden in die Produktionsketten eingegliedert, wie z.B der Ölpresskuchen als Futtermittel. Bodenqualität und Wasserhaushalt bleiben erhalten. Im Rahmen eines Abkommens mit dem brasilianischen Erdölunternehmen PETROBRAS wurden 9 kleine Destillieranlagen (500 l/Tag) dezentral installiert, weiters ist die Errichtung einer Biodieselproduktionsanlage mit einer Kapazität von 400.000 l/Tag geplant. Ähnliche Genossenschaften wurden inzwischen auch in anderen Teilen Brasiliens gegründet. Die Förderungen dieser Initiativen durch brasilianische Regierungsstellen sind bisher aber nur Brösel von dem Kuchen, den die agroindustrielle Großproduktion erhält. Die Anbaufläche für Zuckerrohr soll von dzt. etwa 6,2 Mio. ha bis 2012 auf über 9 Mio. ha gesteigert werden. 2005 wurden 14,5 Mrd. l Ethanol produziert, 2 Mrd. l gingen davon in den Export, der aber zukünftig kräftig wachsen wird. Bis 2012 sollte Brasilien laut Prognosen daher doppelt soviel Alkohol produzieren und zusätzlich noch 44% mehr Zucker. Die bestehenden 334 usinas werden weiter ausgebaut, 58 neue installiert und weitere sind in Planung. Diese wenigen Zahlen lassen schon erahnen, dass es um Geschäfte in Milliardenhöhe geht und dementsprechend agieren Konzerne, Banken und Investmentfonds um sich einen möglichst großen Anteil zu sichern. Einen interessanten Vorschlag gibt es seitens der Regierung Lula - das Programm zur Biodieselproduktion von 2005 führte zur Förderung der familiären Landwirtschaft den "Combustível Social" (Sozialtreibstoff) ein. Pflanzenöl aus familiärer Produktion sollte mit diesem Zertifikat versehen werden und ganz oder teilweise von Steuern befreit sein. Den Bauern werden Mindestpreise und technische Beratung garantiert und alle Unternehmen, die Biodiesel vermarkten, müssten einen gewissen Prozentsatz an "combustível social" kaufen. Dieser Teil des Programms wird aber bisher sehr schleppend bis gar nicht umgesetzt. Aber es gibt auch andere Probleme - um die nationale und internationale Biodieselnachfrage zu stillen sollten laut Agrarministerium (2005) bis 2035 insgesamt 900 Anlagen mit einer Jahresproduktion von je 100 Mio. Litern Pflanzenöl in Betrieb gehen. Der Ölertrag sollte von derzeit 500 kg/ha auf 5 t/ha gesteigert werden und in diesem Fall wäre eine Ausdehnung der Anbauflächen für Ölpflanzen um 20 Mio. ha notwendig. Dafür müssten aber statt Soja andere Pflanzen mit weitaus höheren Ölgehalt zum Einsatz kommen, wie z.B. Erdnüsse, Rizinus, Ölpalmen, Sonnenblumen u.a.m.. Doch die Agrounternehmen und auch die Regierung bevorzugen aus verschiedenen Gründen Soja. Das bedeutet, dass diese Monokultur eine weitaus größere Fläche besetzen wird und dafür ist vor allem der Cerrado geeignet, aber auch Teile Amazoniens. In manchen Regionen sind die Bodenpreise schon um bis zu 100% gestiegen, auch wegen der steigenden Nachfrage aus dem Ausland, und das übt gemeinsam mit anderen Faktoren Druck auf die Kleinbauern aus, die früher oder später verdrängt werden. Dann ist zu erwarten, dass viele von ihnen versuchen werden, sich in Amazonien ein neues Stück Land anzueignen, um zu überleben. Die Agrotreibstoffproduktion wird damit direkt und indirekt zum Auslöser für die Zerstörung weiterer Savannen und Regenwaldgebiete. Unsicherheit besteht auch hinsichtlich der Auswirkungen auf die Produktion von Nahrungsmitteln, die zum überwiegenden Teil aus Klein- und Mittelbetrieben kommen. Während die Regierung kein Problem sieht erwarten die sozialen Bewegungen, Kirchen, NGO´s u.a. eine Verknappung und Verteuerung der Lebensmittel. Alles andere wäre in der 500-jährigen Kolonialgeschichte eine Neuheit. Es ist daher dringend notwendig, die aktuellen Entwicklungen in Richtung Bioenergie nach sozialen und ökologischen Kriterien zu gestalten um ein Desaster zu vermeiden. Das Forum Brasileiro de ONG´s e Movimentos Sociais - FBOMS 2 hat dazu einen Katalog von Kriterien erarbeitet, den alle Programme und Projekte zur Agrotreibstoffproduktion erfüllen sollten, um eine soziale und ökologische Nachhaltigkeit zu gewährleisten. Die Priorität der biologischen Nahrungsmittelversorgung, der Erhalt der Biodiversität und die Respektierung der Arbeitsgesetzgebung stehen an vorderster Stelle. Genau genommen sollte das alles bereits eine internationale Selbstverständlichkeit sein und keiner Diskussion mehr bedürfen. Zumindest sollten ab sofort dieselben Mittel, die aufgebracht werden um die Autotanks zu füllen, zur Lösung des Hungerproblems und zur Erreichung der anderen Milleniumsziele bereitgestellt werden! Möglich ist es, zur Durchsetzung braucht es nur etwas von der Hartnäckigkeit, der Ausdauer und der menschlichen Größe der brasilianischen Landlosen! Johann Kandler 2 Brasilianisches Forum der NGO´s und sozialer Bewegungen |
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Brasilien - Teil 1 |